Über den Tod und das richtige Leben
Der „Jedermann“ in Salzburg als Mahner und Beschwörer einer besseren Welt.
„JEDERMANN“, tönt es auch in diesem Jahr wieder auf dem Domplatz zu Salzburg. Wenn die sommerliche Hitze allmählich in die Abenddämmerung übergeht und sich in eine laue Nacht verwandelt, hebt sich der Vorhang der berühmten Salzburger Festspiele im 90. Jahr, um die Zuschauer aus nah und fern an die Endlichkeit ihres Daseins und ihr oftmals tödliches Spiel um Macht und Geld zu erinnern.
In diesem Jahr ruft Peter Lohmeyer als Tod „ Ei Jedermann! ist so fröhlich dein Mut? Hast deinen Schöpfer ganz vergessen?“ den aus Film und Fernsehen bekannten Schauspieler Cornelius Obonya in der Rolle des Jedermann ins Jenseits. Mit dunkler, sonorer Stimme und langgezogener Intonation lässt der Tod seinen Ruf laut und überdeutlich von den Dächern, der stattlichen Gebäude, die den Domplatz umgeben erschallen.
„JEEEEEDERMAAAAAN“
Den Zuschauern läuft ein Schauer über den Rücken und Gänsehaut überzieht die bloßen Arme der Damen in den wunderschönen Abendkleidern. Schließlich weiß man, was sich gehört, wenn man den berühmten Salzburger Jedermann bei den berühmten Salzburger Festspielen guckt. Deshalb blitzen die Geschmeide auf den Dekoltees der Damen und die Fliegen sitzen stramm auf dem Smokinghemd der Herren. Irgendwie scheint das alles ein Anachronismus zu sein.
Andächtig lauscht das edle Publikum der Botschaft des Jedermann, der an die Endlichkeit des irdischen Daseins und an den Fluch des Geldes und der glitzernden Lebensshow mahnt, gleichzeitig stellen die Salzburger Festspiele ein deutliches Abbild dieser Show dar.
Egal, dem Publikum gefällt es seit 90 Jahren, die Salzburger haben ihr Spektakel, die Regenbogenpresse hat genug Stoff um die diversen Sommerlöcher zu füllen und dem Jedermann geht die Arbeit definitiv nicht aus, die Menschen an das Ende ihres irdischen Daseins zu erinnern.
Spaß beiseite: Hugo von Hoffmannsthal hat mit seinem Jedermann, der am 01. Dezember 1911 im Berliner Zirkus Schumann unter der Regie von Max Reinhardt uraufgeführt wurde, Weltliteratur verfasst, die das Wesen der menschlichen Seele und des menschlichen Daseins eins zu eins abbildet.
Den Impuls zu diesem Meisterwerk setzten spätmittelalterliche Mysterienspiele, mit denen sich Hoffmannsthal zuvor beschäftigt hatte. Dabei erkannte er, dass sich die Ängste der Menschen vor dem Tod aber auch die Natur des Menschen seit Menschengedenken niemals geändert haben und niemals ändern werden. Trotz alledem braucht es immer wieder Mahner und Fingerzeige.
Diesen höheren, um nicht zu sagen philosophischen Auftrag hat Hoffmannsthal mit dem Verfassen des „Spiels vom Sterben des reichen Mannes“ angenommen: Im Jedermann lässt er Gott erkennen, dass man ihn auf der Erde nicht mehr schätzt. Daraufhin beschließt dieser, die Menschen durch den Tod wieder an seine Macht zu erinnern. Er trägt dem Tod auf, zu Jedermanns Haus zu gehen und ihn vor das göttliche Gericht zu rufen. Nach vielen Sauf- und Fressgelagen, Hurerei, frivolen Spielereien mit der wunderschönen Buhlschaft, die meiner Meinung nach immer noch am impulsivsten von Veronica Ferres dargestellt worden ist, kommt am Ende der Tod. Plötzlich, unerwartet und die große Frage: schmerzlos oder schmerzvoll?
Die Geschichte hat ein Happy End: Des Teufels letzte Worte, nachdem er den Jedermann NICHT bekommen hat:
„Die Welt ist dumm, gemein und schlecht und geht Gewalt allzeit vor Recht, Ist einer redlich, treu und klug, Ihn meistern Arglist und Betrug.“
Der Teufel geht ab und für ein paar Sekunden halten die Zuschauer inne, um über diese letzten Worte nachzudenken, vor allem aber über folgenden Inhalt der Geschichte zu sinnieren:
Der wohlhabende Jedermann wird unerwartet mit dem Tod konfrontiert, der ihn vor Gott führen will. Keiner will Jedermann folgen: Weder sein treuer Knecht noch seine Freunde noch sein Geld treten mit ihm den Weg ins Grab an. Erst der Auftritt seiner Werke und des Glaubens bringen ihn dazu, sich zum Christentum zu bekennen und als reuiger Bekehrter ins Grab zu steigen.
Dann brandet tosender Beifall auf. Die Spannung löst sich und die Welt der Schönen und Reichen, die Welt des Jedermanns dreht sich weiter wie eh und je.